Nachdem die Leitzinsen neun Monate lang unverändert geblieben waren, hat der EZB-Rat nun beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB um jeweils 25 Basispunkte zu senken. Dementsprechend werden der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte sowie die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität mit Wirkung zum 12. Juni 2024 auf 4,25 %, 4,50 % bzw. 3,75 % gesenkt. Dieser Schritt war zu erwarten, denn seit September 2023 ist die Inflation durch die Dämpfung der Nachfrage um mehr als 2,5 Prozentpunkte zurückgegangen. Die Inflationsaussichten haben sich seitdem deutlich verbessert.
Allerdings dürfte die Inflation lt. der Zentralbank bis weit ins nächste Jahr über dem Zielwert von 2 % bleiben. Erwartet wird eine Gesamtinflation von durchschnittlich 2,5 % für 2024, 2,2 % für 2025 und 1,9 % für 2026. Bei der Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel gehen die Fachleute von durchschnittlich 2,8 % für 2024, 2,2 % für 2025 und 2,0 % für 2026 aus. Sie erwarten einen Anstieg des Wirtschaftswachstums auf 0,9 % für 2024, 1,4 % für 2025 und 1,6 % für 2026.
Der ifo-Präsident Clemens Fuest hat die Zinssenkung der EZB begrüßt. „Der Schritt ist sinnvoll, weil sich die Inflation in Europa mittlerweile in Richtung der angestrebten zwei Prozent zurückentwickelt“, sagte er am Donnerstag in München. „Diese Zinssenkung ist an den Märkten allerdings bereits eingepreist, der Impuls für die Konjunktur wird begrenzt sein. Dass weitere Zinssenkungen bald folgen können, ist angesichts deutlich steigender Löhne und verschobener Zinssenkungen in den USA eher fraglich.“
Ist die Zinssenkung ein Befreiungsschlag für die Bauwirtschaft? Bundesministerin Klara Geywitz sieht durchaus Chancen für die Erholung der angeschlagenen Branche: „Günstige Finanzierungen am Kreditmarkt sind enorm wichtig für den Wohnungsbau. Die Senkung des EZB-Leitzinses wird der Baubranche einen neuen Schub geben. Zusammen mit diesen besseren Finanzierungsbedingungen, unseren Förderprogrammen, dem starken sozialen Wohnungsbau und den Steuersenkungen für den frei finanzierten und gemeinnützigen Wohnungsbau werden die richtigen Impulse für eine starke Bauwirtschaft gesetzt."
In der Immobilienbranche geht man allerdings nicht davon aus, dass dies der Beginn eines klassischen Senkungszyklus ist, den man aus der Vergangenheit kennt. Michael Neumann, Zinsexperte des Finanzvermittlers Dr. Klein, ist um Zurückhaltung bemüht: „Ich glaube nicht, dass die EZB in den folgenden Sitzungen jedes Mal den Zins senken wird, wie es beim Erhöhungszyklus der Fall war, wo wir zehn Erhöhungen in Folge hatten und dann ein knappes Jahr Pause.“ Seiner Meinung nach wird das Inflationsziel von zwei Prozent nicht sehr schnell erreicht werden, sodass es Pausen geben wird, in denen die Zentralbank abwartend reagiert und nur Daten sammelt.