Dieser Tage wird es wieder deutlich: die Welt ist – um in der Sprache der Branche zu bleiben – ein Sanierungsfall. Trotz zahlreicher, unter Hochdruck entwickelter Impfstoffe stockt überall rund um den Globus der Impffortschritt, weil die einen nicht mehr wollen und die anderen noch nicht können. Knapp 57 % der Deutschen waren Mitte August vollständig geimpft. Noch zu weit weg von impfwilligen Emiratis, deren Impfquote bei 73 % liegt, aber auch deutlich besser dran als die Einwohner Tanzanias, wo nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung den rettenden Pieks in den Arm bekommen hat.
Die Pandemie ist also immer noch allgegenwärtig. Auch wenn bei uns seit dem 1. Juli die Corona-Notbremse ausgelaufen ist und keiner der führenden Politiker den Begriff „Lockdown“ in den Mund nehmen will – richtig sicher fühlen sich die Bürger nicht, dass nicht doch noch weitere Verschärfungen beschlossen werden könnten. Nach der Wahl versteht sich, wenn die Würfel schon gefallen sind.
Trump wird es nicht bestätigen wollen, aber auch die Auswirkungen der menschengemachten globalen Erderwärmung machen immer deutlicher auf sich aufmerksam. Während Starkregenereignisse in Teilen Deutschlands für dramatische Überflutungen sorgten, ist im Hochsommer der ganze Mittelmeerraum zum Hotspot des Klimawandels geworden. Wochenlang wüteten dort verheerende Brände, welche die „grüne Lunge“ der großen Städte Südeuropas zerstörten. Nicht ohne Folgen für die Europäer wird auch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bleiben. Deutschland wurde zwar nie wirklich am Hindukusch verteidigt, unsere Sicherheitslage wurde jedoch durch den Einsatz vor Ort verbessert. Die geschaffenen Fakten und der mögliche Bürgerkrieg werden zweifelsohne zu massiven Migrationsbewegungen führen, die auch die größte europäische Volkswirtschaft beschäftigen werden.
Neben all dem globalen Unheil haben wir nach wie vor mit unseren nationalen Problemen zu kämpfen. Diese mögen zwar vor dem Hintergrund umherziehender, bis an die Zähne bewaffneter Terrormilizen banal und kleinkariert erscheinen, benötigen aber trotzdem kluge Lösungen auf politischer Ebene. Es gilt, auf der einen Seite die bestehenden Integrationsdefizite zu beheben und auf der anderen klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Die Digitalisierung stockt, die Wohnungsnot ist groß, es gibt nicht genug Pflegekräfte und spätestens seit dem Corona-Ausbruch gehört auch unser Bildungssystem auf den Prüfstand. All das ist Jammern auf hohem Niveau, erfordert aber gerade deshalb eine Landesführung, die genug Ideen, Mut und Know-how mitbringt, um sich auch komplexen Themen zu stellen. Die Merkel‘sche Politik der kleinen Schritte, ihre pragmatisch-nüchterne Grundeinstellung endet jedenfalls nach der Bundestagswahl am 26. September. Wer hat dann das Sagen, wer leitet die Geschicke des Landes? Und welcher Politiker-Typ ist gerade mehr gefragt: Krisenmanager, Weltverbesserer, Sympathieträger?
54 Parteien sind insgesamt zur Wahl zugelassen, die drei größten von ihnen haben aktuellen Umfragewerten nach reale Chancen auf das Kanzleramt. Ihre Spitzenkandidaten Laschet, Scholz und Baerbock liefern sich seit Wochen ein Kopf-an-Kopf Rennen um die Gunst der Wählerinnen und Wähler, ohne sie wirklich zu überzeugen. Um so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, verharren sie nach den Pannen und Fettnäpfchen der letzten Wochen nun in Lethargie und hoffen auf das Wunder kurz vor der Ziellinie. Wer auch immer letztlich das Rennen macht: Die neue Regierung erbt eine Reihe unerledigter Aufgaben – von A wie Ausbau erneuerbarer Energien bis Z wie Zuwanderung. Probleme, die zu lösen sind – mit etwas mehr Handlungswillen und Sachverstand und etwas weniger Ideologie und politischem Taktieren.
(Autor: Paul Deder)