Die Autobesitzer kennen das Problem: alle Jahre wieder müssen die alten, abgefahrenen Pneus durch neue ersetzt werden, um die gesetzlich vorgeschriebene Mindestprofiltiefe einzuhalten. Das lässt einen riesigen Gummiberg anwachsen: Pro Jahr fallen allein in Deutschland etwa 570.000 t Altreifen an, europaweit sind es über 3,5 Mio. t. Weil die Altreifen nicht verrotten, sind sie eine Gefahr für die Umwelt und dürfen daher seit 2006 nicht mehr deponiert werden. Doch was tun mit dem schwarzen Rund?
Weil die Wiederaufbereitung zu runderneuerten Reifen auf immer weniger Nachfrage stößt, ist die Verbrennung der alten Schlappen in Mode gekommen. Die energetische Verwertung ist nicht uninteressant, denn der hohe Wärmewert macht die Pneus zu einem Alternativbrennstoff für Industrien mit energieintensiven Prozessen. Die Altreifen enthalten bis zu 50 % mehr Energie als Kohle und sind zudem billig zu haben. Trotzdem ist der in den Altreifen enthaltene Rohstoff viel zu schade zum simplen Abfackeln.
Auch die stoffliche Verwertung gibt den Reifen eine zweite Chance. Ein gutes Beispiel dafür ist die Verwendung des Reifengummis als Zusatz für den Straßenasphalt. Zu Granulat geschreddert kann das Gummi zur Modifizierung von Bitumen eingesetzt werden. In den USA nutzt man gummihaltige Asphaltmischungen bereits seit vielen Jahrzehnten – mit Erfolg. Langzeitstudien haben dort eine deutliche Verbesserung der Langlebigkeit bewiesen. Ein Ansatz, bei dem die öffentliche Hand hellhörig werden sollte – fordert sie doch unentwegt hohe Qualität und Robustheit der Straßen. Könnten durch Bitumen-Gummigemisch Risse und Spurrinnen vermieden werden, dann ginge es um die Einsparung von Instandhaltungskosten. Dem Ziel des kostengünstigen Straßenbaus würde die Republik einen Schritt näher kommen.
Doch die „gummierten“ Straßenbeläge können noch mehr: So lassen sich dadurch auch Abrollgeräusche um bis zu 5 dB reduzieren. Eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass bereits ein Rückgang des Lärms um 3 dB wie eine Halbierung des Verkehrsaufkommens empfunden wird. Einer der Anbieter, der diese Technologie im Straßenbau vorantreibt, ist Evonik. Mit dem Prozessadditiv VESTENAMER ermöglicht das Spezialchemieunternehmen, Gummimehl aus Altreifen zu einem gummihaltigen Asphalt zu verarbeiten. Der wiedergewonnene Werkstoff wird Straßenbaubitumen oder Straßenbauasphalten beigemischt, um die Dauerhaftigkeit von Straßenbelägen zu verlängern. Auch die Ökobilanz der Technologie stimmt: Laut einer Studie des Prüfinstituts ifeu aus Heidelberg werden bei der Wiederverwertung pro Tonne eingesetztem Gummimehl rund 2,7 t Kohlendioxid eingespart, die sonst bei der Verbrennung entstehen würden.
Im Rahmen einer Versuchsstrecke in Paderborn wurde in 2012 auf der Detmolder Straße der Straßenbelag erneuert. Die Erstellung der neuen Mischgutrezeptur erfolgte unter Verwendung von Gummimehl und VESTENAMER. Je 100 m Fahrbahn wurden so 80 Altreifen zu einer elastomermodifizierten Straßendecke verarbeitet. Im Frühjahr 2013 wurden gummimodifizierte Bitumen und Asphaltarten durch die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in das deutsche Regelwerk für Straßenbau aufgenommen.
Autor: Paul Deder