Mensch, waren das düstere Zeiten! Schon wenige Jahre nach den Freudentänzen auf der Mauer begann im wiedervereinigten Deutschland eine Baurezession, die ein ganzes Jahrzehnt andauern sollte. Die lange Talfahrt der Branche hat Opfer gefordert: mit Konzernen wie Philipp Holzmann oder Walter Bau gingen bedeutende Schwergewichte komplett unter. Weitere Bauriesen wie Hochtief sind dank laxem Schutz vor Übernahmen heute mehrheitlich in ausländischen Händen.
Andere wiederum mussten sich neu aufstellen, um in die Rentabilitätsspur zurückzufinden. So hat sich Bilfinger Berger als die einstige Nummer drei der größten deutschen Flagschiffe von seinem Bau- und Immobiliengeschäft getrennt und ist dadurch zum reinen Dienstleister für die Industrie verkommen. Ein deutsches Bauunternehmen von Rang und Namen gibt es auf der europäischen Bühne seit dem Höhepunkt der Pleitewelle nicht mehr.
Heute ist die hiesige Baubranche praktisch nur noch von Mittelständlern und kleinen Firmen besetzt, und auch sie haben einen langen Leidensweg hinter sich. Auf ein überlebensfähiges Maß geschrumpft, unterboten sich die Baufirmen bei Ausschreibungen gegenseitig, um Aufträge an Land zu ziehen. Billigtrupps aus Osteuropa, die nicht an Tarifverträge gebunden sind und den gesetzlichen Mindestlohn nicht beachten müssen, verschärfen den Konkurrenzkampf am Bau zusätzlich. Auch wenn letztere heute immer noch die Rahmenbedingungen auf innerdeutschen Baustellen verwässern, treten gerade in den Ballungsräumen Schwierigkeiten einer ganz anderer Art auf. Seit nunmehr acht Jahren boomt die einst angeschlagene Branche, sodass investitionsfreudige Städte und Gemeinden zunehmend auf das Problem stoßen, keine Baufirmen und Handwerksbetriebe für öffentliche Aufträge finden zu können. Die von der Branche einst geschätzte Erlösquelle ist bei vielen Baubetrieben zur unliebsamen Aufgabe geworden.
Aktuelle Auswertungen von Building Radar – einer Suchmaschine für Bauprojekte – bestätigen diese Entwicklung: So konnten 25,9 % der öffentlichen Bauausschreibungen seit dem Jahr 2014 nicht vergeben werden und mussten dadurch zurückgezogen werden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Bei vielen Bauunternehmen sind die Auftragsbücher voll und die Kapazitätsgrenzen erreicht. Die Misere der Öffentlichen Hand trifft auf das Luxusproblem der Bauausführenden, sich nur auf die leckeren Stückchen des Auftragskuchens stürzen zu können: Viele Firmen können sich heute gewissermaßen aussuchen, wo sie ihr Geld verdienen und derzeit sind die Gewinnmargen bei privatwirtschaftlichen Bauvorhaben einfach höher. Den Baubetrieben ist dabei kein Vorwurf zu machen – das nennt man Marktwirtschaft. Zudem fehlt es vorne und hinten an Personal, um auch die weniger attraktiven öffentlichen Bauvorhaben mittragen zu können. Die Bauwirtschaft ist vom Fachkräftemangel betroffen und hier rächen sich die Fehler der Vergangenheit. Wenn man einem systematischen, über zwei Jahrzehnte andauernden Kapazitätsabbau nichts entgegensetzen kann, dann darf man sich über das momentane Personaldilemma nicht wundern. Mitte der 90er Jahre hatte das Bauhauptgewerbe noch über 1,4 Mio. Beschäftigte. Danach ging es nur noch bergab, bis 2009 mit etwas über 700.000 Beschäftigten die Talsohle erreicht wurde. Erst mit dem Bauboom der letzten 8 Jahre drehte sich das Bild, sodass die Branche heute über 800.000 Arbeitnehmer in ihren Reihen zählt.
Mit der Bürokratie steht ein weiterer Bremsklotz im Weg: Gerade kleinere Unternehmen schrecken vor der Komplexität der Auftragsvergabe zurück. Es muss sich also einiges ändern, damit öffentliche Anfragen nicht im Sande verlaufen. Eine Lockerung des Vergaberechts wie zu Zeiten der Finanzkrise, frühzeitiges Ausschreiben der Projekte weit vor der Bausaison, die Berücksichtigung von aktuell üblichen langen Wartezeiten und eine auf realistischen Marktzahlen begründete Kalkulation der Projekte sind Möglichkeiten, Bauauschreibungen nicht ins Leere laufen zu lassen.
Autor: Paul Deder