Ganz nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ hat sich die Mehrheit der älteren Generation Großbritanniens gegen den Verbleib des Landes in der EU entschieden. 61 % der über 65-jährigen Briten haben für den Austritt gestimmt, wohingegen 75 % der 18- bis 24-jährigen für den Verbleib votierten. Ein Sieg der Emotion über die Vernunft, der Vergangenheit über die Zukunft. Viele junge Briten fühlen sich ihrer Chancen in einer immer globalisierteren Welt beraubt. Nun müssen sie mit den langfristigen Folgen des Brexit leben, während ihre Großeltern sich im Herbst ihres Lebens voll und ganz der Teekultur widmen können.
Muss man es ihnen übel nehmen? Nein. Es darf nicht erwartet werden, dass Ältere in der Lage sein sollen, die Vorzüge der EU angemessen zu bewerten. Dass sie entscheidend dazu beigetragen haben, mit ihrem „no“ das Land von der außenpolitischen Klippe zu stürzen, hat nicht viel mit Nostalgie zu tun. Es herrscht die Überzeugung, Großbritannien könne mit dem Austritt aus der EU seine – im Kern hausgemachten – Probleme lösen. In Brüssel werden die Schuldigen dafür vermutet, dass die einstige Industrie-Weltmacht Großbritannien zu einer Dienstleistungsgesellschaft mutiert ist – bei mageren 10 % liegt der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung im Land. Dementsprechend schwer hat die Bankenkrise den Briten zugesetzt. Das ist der Preis dafür, wenn man seit 30 Jahren ökonomisch mehr auf Luftschlösser der Finanzwelt als auf robuste Substanz der Industrie setzt. Diese Entwicklung trägt zu tiefgreifenden Strukturmängeln der britischen Volkswirtschaft bei: Es fehlt der wirtschaftliche Mittelstand und auch die Mittelschicht in der Bevölkerung wurde durch den Sparkurs der Regierung in den letzten Jahren finanziell ausgequetscht. Hinzu kommt, dass den Briten im EU-Vergleich eine sehr niedrige Staatsrente zusteht, was eigene Zusatzleistungen notwendig macht. Auch für die explodierende Zahl der Migranten wird Europa verantwortlich gemacht. Dass die Öffnung der EU nach Osten 2004 der Labour-Regierung mitten in der Hochkonjunktur in die Karten spielte, wurde von den Brexit-Befürwortern genauso wenig erwähnt, wie die Tatsache, dass die EU-Ausländer mehr in die Staatskasse einzahlen, als sie an Zuwendungen erhalten.
Trotz des klaren Votums darf der Schlamassel nicht allein den Alten in die Schuhe geschoben werden. Vielmehr haben die Jungen, die nicht nur auf der Insel chronisch „busy“ zu sein scheinen, ihre Chancen zur Willensäußerung nicht genutzt. Beim Referendum lag die Beteiligung der Generation „enge Hose“ bei schlappen 36 %. Die jungen Briten sind behütet aufgewachsen, besser ausgebildet als ihre Vogängergenerationen und international vernetzt. Doch aufgrund ihres politischen Desinteresses wussten sie diese Vorteile nicht zu nutzen. Zu spät wurde in den sozialen Netzwerken von Belanglosigkeiten auf Relevanz umgestellt – nun hat die Jugend ausgetwittert.
Obwohl sie faktisch nie der EU beigetreten waren, haben sich die Briten nun selbst vor die Tür gesetzt. Doch was bedeutet der Brexit für den Bausektor? Heinze Marktforschung meldet, dass laut einer Umfrage über Dreiviertel der befragten Hersteller von Bau- und Ausstattungsprodukten Absatzrückgänge ihrer Waren in Großbritannien fürchtet. Die britische Bauwirtschaft hat bereits Schrumpfung signalisiert, der Stimmungsindikator für die Baubranche ist von 51,2 auf 46,0 Punkte gefallen. Bauunternehmen, die sich auf hochpreisige Immobilien rund um London spezialisiert haben, könnten aufgrund sinkender Nachfrage der Gutverdiener zu den Verlierern zählen. Dazu könnte noch kommen, dass osteuropäische Arbeitnehmer nicht weiter in Großbritannien arbeiten dürfen und sich in Deutschland niederlassen. Schwarzarbeit und Dumpinglöhne könnten die Folge sein. Alles in allem gibt es durchaus Grund zur Sorge, doch von größeren Umsatzeinbußen ist die gesunde deutsche Bauwirtschaft, die sich schwerpunktmäßig traditionell im Inland engagiert, weit entfernt.
Autor: Paul Deder