Da ist es wieder: Eine wichtige Branchenveranstaltung macht sich den Fachkräftemangel zum Schwerpunktthema. Eine Podiumsdiskussion soll das Problem aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und Lösungswege aufzeigen. Zu laut scheinen die Alarmglocken inzwischen zu läuten, zu verzweifelt die Lage auf dem Markt zu sein: Einer aktuellen Umfrage der IHK nach würden 79 % der Unternehmen des Baugewerbes den Fachkräftemangel als größtes Risiko einstufen. Seit Jahren schon scheiden sich an diesem Thema die Geister. Aber wie groß sind die Probleme wirklich?
Die vor Kurzem erschienene Fachkräfteengpassanalyse der Agentur für Arbeit relativiert die zur Zeit herrschende Endzeitstimmung in der deutschen Wirtschaft. Demnach gibt es durchaus Engpässe bei einigen Berufsfeldern und in strukturschwachen Regionen, was angesichts der guten konjunkturellen Lage und der niedrigen Zinsen nicht weiter verwunderlich ist. Die Nachfrage nach Fachkräften in Bauberufen hat deutlich angezogen, von einem generellen Fachkräftemangel in Deutschland kann laut der Studie allerdings nicht gesprochen werden. Wieso wird das Thema dann so penetrant propagiert?
Betrachtet man die Analysen, die einen akuten Fachkräftemangel diagnostizieren, dann fällt auf, dass viele Institute bei ihrer Methodik die Zahl der offenen Stellen der von Arbeitslosen gegenüberstellen. Ein Vergleich, der in Wirklichkeit wenig Praxisbezug besitzt, denn nicht jeder Jobsuchende ist automatisch arbeitslos. Viel mehr Aussagekraft besitzt die Entwicklung der Löhne und Gehälter in Deutschland: Hier würde eine Verknappung am Arbeitsmarkt nach allen Gesetzen der Marktwirtschaft für deutliche Steigerungen sorgen, doch genau das ist nicht der Fall. Um ganze 0,5 % sind die Reallöhne im 2. Quartal 2018 gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen. Der Anstieg ist so gering, wie seit 2011 nicht mehr – von Panik am Arbeitsmarkt kann also keine Rede sein. Bei dem aktuell niedrigen Arbeitslosenniveau flattern sicher nicht mehr so viele Bewerbungen ins Haus, wie das früher der Fall war. Heute muss man sich schon etwas mehr anstrengen, um Arbeitskräfte für sich zu gewinnen. Passiv suchende, aber durchaus wechselwillige Bewerber erwarten überzeugende Angebote, was Unternehmen oft in eine prekäre Lage bringt, da die hohen Gehaltsvorstellungen nicht zum bisherigen Vergütungsniveau der Firma passen. Bei Arbeitssuchenden werden die Filter wiederum so eng gesetzt, dass sie kaum jemand zu erfüllen vermag. Kein Wunder, dass sich die Suche nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ – jung, flexibel, mobil und belastbar, am besten noch mit zehn Jahren Berufserfahrung, jedoch zum marktüblichen Gehalt – als schwierig erweist. Lange Vakanzzeiten von Stellenangeboten sind da die logische Konsequenz.
Die Motivation der Wirtschaft, in punkto Fachkräftemangel immer wieder auf die Tränendrüse zu drücken, ist nachvollziehbar und einfach zu erklären. Verbände und Unternehmen dürften ein großes Interesse daran haben, mehr junge Leute für technische Berufe zu rekrutieren, um mit wachsendem Angebot an Fachkräften ihre Bezahlung leichter drücken zu können. Welcher Firmenchef will sich schon auf Dauer von potenziellen Arbeitnehmern die Arbeitsbedingungen diktieren lassen? Wie gesagt, es gibt durchaus Bauberufe, wie z. B. im Bereich Heizung, Sanitär und Klimatechnik, wo regional Engpässe bei den Fachkräften zu beobachten sind. Dass uns aber die Menschen ausgehen, ist schlichtweg falsch. Vielleicht ist es für Manager und Geschäftsführer an der Zeit, bewusst nach den Ursachen für unbesetzte Stellen zu suchen und bei der Gelegenheit auch die eigenen Recruiting-Prozesse kritisch zu hinterfragen. Überstunden, hoher Druck, schlechte Bezahlung und befristete Verträge sind Gift für unpopuläre Berufe – an mehr Attraktivität bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen führt kein Weg vorbei.
Autor: Paul Deder