Vor Kurzem hat mir mein neunjähriger Sohn seinen Berufswunsch offenbart: Astronaut möchte er werden, so wie wohl viele Heranwachsende vor ihm. Dafür will er gut in der Schule sein und wäre sogar bereit, sich nach und nach von seinen Kuscheltieren zu trennen. Schließlich geht es auch darum, beim langen Trip zum Mond unnötiges Gewicht einzusparen. Astronaut also – ein Klassiker unter den Traumberufen, dachte ich mir und wurde schnell eines besseren belehrt. Denn fragt man ältere Jungen und Mädchen, was sie nach der Schule werden möchten, dann taucht plötzlich ein ganz neuer Berufszweig auf: Influencer sind die neuen Superstars unserer Zeit.
Was nach ansteckender Krankheit klingt, beschreibt Menschen, die jeden banalsten Schnipsel ihres Lebens öffentlich machen. Sie ziehen nicht nur Follower an: Durch ihre starke Präsenz in den sozialen Netzwerken werden die Internet-Lieblinge als Multiplikatoren für die Vermarktung von Produkten interessant. Auf Instagram posten sie Selfies in schicker, modischer Kleidung, deren Hersteller im Hashtag unter dem Foto zu finden ist. Auf Youtube führen Beauty-Influencer vor, wie man sich am geschicktesten schminkt und welche Produkte dafür passenderweise in Frage kommen, während sogenannte Let‘s Player durch ihre Gaming-Streams von Fans verehrt und von Spieleherstellern umworben werden. Stellt man das also geschickt an, dann kann man als Influencer den eigenen, notorischen Mitteilungsbedarf zur baren Münze machen. Das Hobby wird zum Beruf, die Grenze zwischen der privaten und öffentlichen Kommunikation verwischt, aus Fans werden Konsumenten. Wer zur Berühmtheit wird, entscheiden hier nicht die klassischen Medien oder Krawattenträger in Schlüsselpositionen, sondern die digitale Allgemeinheit. Die einstigen Nobodys können aus eigener Kraft zu gut bezahlten Meinungsführern werden, ohne ihr Kinderzimmer verlassen zu müssen.
So wie Lisa und Lena, die sich still und leise im Laufe der letzten drei Jahre auf Platz drei der beliebtesten deutschen Instagrammer katapultiert haben – eingereiht zwischen Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger. Die beiden Zwillinge mit dem Zahnspangen-Lächeln sind im zarten Alter von 15 Jahren dank ihrer 13 Mio. Instagram-Fans richtig dick im Geschäft. Erst im Jahr 2015 sind sie mit Playback-Videos in Erscheinung getreten. Ihre selbst ausgedachten Choreografien zu englischen Songs haben die beiden schnell international bekannt gemacht. Inzwischen haben sie die Schule auf Eis gelegt, eine Single veröffentlicht und ein eigenes Modelabel gegründet.
Es leben also zwei Social-Media-Stars in meinem 1.000-Seelen-Dorf und ich weiß nichts davon. Das macht deutlich, dass die Vertreter des klassischen Journalismus die mediale Umwelt der Generation Facebook noch nicht wirklich durchschaut haben. Während die Sozialen Netzwerke den Alltag von Millionen junger Menschen prägen, diskutieren nicht wenige mittelständische Medienhäuser darüber, ob das Unternehmen nun wirklich einen eigenen Facebook-Account braucht oder nicht. Sind postende Teenager eine Gefahr für den seriösen Journalismus, weil sie Produktwerbung für Content verkaufen und dabei authentisch auftreten? Fällt dem Nutzer auf, dass sich ihre Idole für Posts „schmieren“ lassen? Denn obwohl Schleichwerbung in Deutschland verboten ist, sind Plattformen wie Instagram heute immer noch ein nahezu unregulierter Werbedschungel.
Hobby-Handwerker ausgeklammert, sind mir in der Baubranche keine Influencer-Größen bekannt. Paradoxerweise wird einer aktuellen Studie von BauInfoConsult zufolge der Großteil der Bauunternehmer durch klassische Medien auf Herstellerseiten gelockt: Bei mehr als jedem zweiten Bauprofi verleiten die als interessant empfundenen Artikel über Produkte und Hersteller dazu, im Nachgang die betreffenden Webseiten zu besuchen. Das heißt also: Erst einmal aufatmen – Influencer braucht der Markt nicht. Ich hoffe inständig – als Nachbar und Medienmensch – dass sich Lisa und Lena nicht eines Tages hinters Steuer eines Abbruchbaggers setzen. Ausschließen kann ich das nicht.
Autor: Paul Deder