„Schwein gehabt“ haben sich wohl die meisten Akteure im Baugewerbe gedacht, als es sich langsam abzeichnete, dass die Branche ohne einen Super-GAU über die Corona-Zeit kommt. Sicher hatten viele Bauunternehmen zu Beginn der Pandemie mit Verzögerungen im Bauablauf zu kämpfen – sei es weil die Mitarbeiter erkrankt oder wegen Quarantänemaßnahmen nicht arbeitsfähig waren oder weil die neuen Anforderungen an die Hygienekonzepte zeitaufwendige Anpassungen der Prozesse nach sich zogen. Probleme bereitete auch die gekappte Unterstützung aus dem Ausland als die Subunternehmer zeitweise nicht einreisen durften. Doch ein kompletter Stillstand der Baustellen war in Deutschland kaum zu beobachten.
Auch die Lieferengpässe, die in anderen Indusriebereichen schmerzlich zu spüren waren, verloren am Bau schnell ihren Schrecken. Die dezentrale Struktur der Bauwirtschaft und die relativ starke Regionalität der Baustoffhersteller verliehen der Branche die notwendige Widerstandskraft, um zur Stabilisierung der angeschlagenen Volkswirtschaft beizutragen. Das Ergebnis: Der Wohnungsbau zeigte sich 2020 unbeeindruckt von Corona und auch das vermeintliche Problemkind Wirtschaftsbau schloss das Jahr mit einem leichten Umsatzplus ab. Sogar der öffentliche Bau konnte trotz Einnahmeausfällen der Kommunen um knapp 6 % zulegen, sodass die Bauwirtschaft insgesamt dem pandemiebedingten Abschwung der Konjunkturentwicklung im Land stoisch entgegenwirken konnte.
Heute wissen wir: zu früh gefreut. Zwar sind nach dem anfänglichen „Corona-Zittern“ bei der Order-Tätigkeit die Auftragsbücher der Bauunternehmen wieder prall gefüllt und auch die Anzahl der Baugenehmigungen hat in 2020 ein weiteres Mal den Stand des Vorjahres getoppt. Trotzdem zeigt sich nun, dass die Krise die Branche mit gewisser Verzögerung einholt – nicht etwa aufgrund einer unstabilen Marktsituation, sondern weil der Branche schlicht das Baumaterial auszugehen droht. Seit Ende des letzten Jahres kämpfen die Akteure gegen den Mangel an Rohstoffen, um die ungebrochen hohe Nachfrage zu befriedigen.
Dabei geht es hauptsächlich um Bauholz, Stahl, Dämmung oder Erdölerzeugnisse wie Kunststoffe, Folien und Bitumen – allesamt Baustoffe, die es nicht „vor der Haustür“ gibt und für die daher wochenlange Lieferzeiten eingeplant werden müssen. Hinzu kommt, dass ihre Verknappung eine regelrechte Preisexplosion ausgelöst hat, mit Steigerungsraten von bis zu 50 %. Ein Schock nicht nur für die Bauherren – auch die sonst wirtschaftlich gesunden Baubetriebe kann diese Entwicklung vor große Probleme stellen. In den Verträgen mit den Kunden gibt es für derart massive und plötzliche Preisanpassungen in der Regel keinen Spielraum. Der Hauptgrund für das Rohstoff-Desaster ist die in der ersten Phase der Pandemie gedrosselte Produktion aufgrund erwarteter Nachfragerückgänge. Diese sind jedoch ausgeblieben oder waren von kurzer Dauer, weil Märkte wie China sehr schnell zu „Business as usual“ zurückgekehrt sind. Außerdem wurden durch die Krise vielerorts bestehende Lieferstrukturen zerstört, weil sich internationale Baufirmen mit dickem Auftragspolster außerhalb ihres Netzwerkes auf Shopping-Tour begeben haben.
Es ist davon auszugehen, dass die Branche daraus lernen und langfristiger planen wird, um auf künftige Verzögerungen und Preiskapriolen besser zu reagieren. Gut möglich, dass zahlreiche Betriebe wieder zum veralteten „Just-in-Case“ Modell zurückkehren und sich Vorräte von kritischen Rohstoffen anlegen. Auf mittlere Sicht ist es auf jeden Fall ratsam, durch die lokale Produktion von Baustoffen die Import-Abhängigkeit zu reduzieren. So wird man nicht dazu verdonnert, nur den Zaungast zu spielen, wenn äußere Umstände die innere Marktstabilität auf die Probe stellen.
(Autor: Paul Deder)