Wird man beim Smalltalk mit osteuropäischen Journalisten nach dem Wohnort gefragt, dann darf man sich als Beinahe-Stuttgarter fast schon zum Staraufgebot der Veranstaltung zählen. Es folgen freundliches Schultergeklopfe und Diskussionen darüber, wieso man in der Lada-Stadt Togliatti so wenig von Formschönheit und Qualität der Autos versteht. Sicher – die deutsche Autoindustrie ist unser ganzer Stolz und die Schlüsselbranche des Landes. Und damit auch ein Fall für die höchste Ebene: Bis auf die Grünen, die mit abenteuerlichen Aussagen über die zügige Abschaffung des Verbrennungsmotors die Autobosse ärgern, hat das Wohlergehen der Automobilbranche für die große Politik traditionell einen hohen Stellenwert.
Nichtsdestotrotz bröckelt die Übermacht der großen deutschen Autokonzerne, weil sie aus Kostengründen immer mehr Wertschöpfung auf die Zulieferer verlagern. Seit etwa drei Jahrzehnten erlebt die Automobilbranche einen starken strukturellen Wandel. Die zunehmende Modell- und Variantenvielfalt bei immer kürzeren Produktlebenszyklen gepaart mit neuen Fahrzeugtechnologien und dem Druck, trotzdem preislich konkurrenzfähig zu bleiben, zwingen die Hersteller zu mehr Arbeitsteilung. Inzwischen übernehmen die Autohersteller nur noch selten mehr als 25 % der Wertschöpfung am gebauten Fahrzeug. Das Gros steuern Zulieferer bei, die teilweise komplette Module zum vorgegebenen Zeitpunkt ans Band liefern. Welche Auswirkungen diese Abhängigkeit haben kann, wurde im Mai 2017 deutlich, als in vier BMW-Werken die Bänder stillstanden, weil ein vergleichsweise profanes Bauteil eines Unterlieferanten nicht fristgerecht produziert werden konnte. Aufgrund des fehlenden Nachschubs aus Italien konnte Zuliefer-Riese Bosch die elektrischen Lenkgetriebe für BMW nicht mehr fertigen und seinen Lieferverpflichtungen mehrere Tage lang nicht nachkommen. In der Folge wurden 8.000 Autos nicht gebaut oder zu spät ausgeliefert. Und auch bei VW kam die Produktion ein Jahr zuvor zum Erliegen, weil ein großer Autoteilehersteller – diesmal aus taktischen Gründen – die Lieferung von Sitzbezügen und Getriebeteilen aussetzte.
Diese Fälle machen deutlich, wie groß die Anhängigkeit von einzelnen Lieferanten, wie exakt durchgetaktet diese Industriesparte ist und wie schnell Störungen in der Lieferkette unsere Vorzeigebranche in Wallung bringen können. Es gibt also durchaus Gründe, dem Trend zu immer mehr Outsourcing zu widerstehen und soviel Wertschöpfung wie möglich im eigenen Hause zu behalten.
Ambitionierte Unternehmer, die auf Wachstum setzen, können sogar den entgegengesetzten Weg einschlagen und durch Zusatzleistungen ihre eigene Wertschöpfung steigern. Gerade Bauunternehmen als Kern des Baugewerbes sind sehr gut dafür geeignet, ihr Leistungsportfolio auszuweiten. Gerade in Zeiten voller Auftragsbücher lässt sich weiteres Wachstum z. B. durch die Übernahme von vorgelagerten Planungs- und Beratungsleistungen bis hin zur Entwurfsplanung realisieren. Oder aber man widmet sich benachbarten Gewerken und übernimmt Aufgaben eines Gerüstbauers, Zimmereibetriebs oder Stuckateurs. So kann schrittweise bis zum Generalunternehmer oder gar bis zum Totalunternehmer aufgestockt werden, der sowohl die wesentliche Bauleistung erbringt als auch für die Planung der Projekte verantwortlich ist. Sicher muss in diesem Fall dem Bereithalten und Ausbalancieren der Kapazitäten eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Man darf sich auch nicht verkalkulieren und mögliche Unwägbarkeiten bei der Ausgestaltung des Pauschalpreisvertrags berücksichtigen. Erhöhten Risiken stehen jedoch Erfolgschancen und Umsatzzuwächse gegenüber, die mit einem traditionellen Unternehmensprofil kaum zu realisieren sind.
Autor: Paul Deder