Mehr als 100 Semester hatte ein Medizinstudent der Uni Kiel auf dem Buckel, als er seine Vorprüfung bestand. Der heute fast 80-jährige hatte sich 1957 an der Uni eingeschrieben, im gleichen Jahr schossen die Sowjets mit dem Sputnik den ersten Satelliten ins All und eröffneten damit das Zeitalter der Raumfahrt. Dieser Uni-Rekord ist sicher ein Fall für das Kuriositätenkabinett, trotzdem gehört lebenslanges Lernen – richtig interpretiert – heute dazu, um als Gesellschaft, Unternehmen oder Individuum wettbewerbsfähig zu bleiben.
Der Mensch ist eine Erfolgsgeschichte, weil unsere Vorfahren sich schon ganz früh mit dem Status quo nicht zufrieden gaben. Bei der Metamorphose unserer Vorfahren zur intelligenten und dominanten Spezies reichte es ihnen nicht aus, einmal in der Kinderstube Gelerntes praktisch anzuwenden. Im sozialen Verbund, in den Beziehungen untereinander und durch Probleme des Alltags wurden stets neue Erfahrungen gemacht und Lösungen gefunden, wodurch das bestehende Wissen immer weiter angereichert wurde. Sie entwickelten Sprachen, fingen an, aufrecht zu gehen, wurden zu Weltenbummlern und nutzten ihre Hände, um Werkzeuge zu bedienen. Der Weg vom einfachsten Grabstock bis zum Smartphone war lang, doch ohne den Wissensdrang als Triebfeder der Evolution würden wir wohl immer noch im Erdreich nach Insekten wühlen. Betrachtet man allein die Fortschritte des letzten Jahrhunderts, dann wird schnell deutlich, welchen gewaltigen Sprung der Mensch in dieser Epoche der Neuzeit durch Motivation und Lernwillen gemacht hat. Allein die Zunahme der Lebenserwartung von durchschnittlich etwa 45 Jahren um 1900 auf mehr als 75 Jahre in der Gegenwart ist atemberaubend. Durch revolutionäre Entdeckungen und neue Methoden in der Medizin nahm die Weltbevölkerung exponentiell zu, während Technologien wie Kunststoffe, Elektronik und Raumfahrt die Welt veränderten.
Unsere Gesellschaft befindet sich immer noch im Wandel und dadurch verändern sich auch die Anforderungen, die Beruf und Alltag an uns stellen. Nach Angaben des Bundesbildungsministeriums haben im vergangenen Jahr ca. 50 % der Arbeitnehmer an mindestens einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen. Kein Wunder: Globalisierung, Digitalisierung und ein schnelllebiger Markt zwingen alle Beschäftigten zum dauerhaften Erlernen neuer Kenntnisse. Dabei sind die Fähigkeiten, die wir durch Seminare, Weiterbildungen oder eigene Recherchen erlangen nicht statisch: Wir lernen sie im Laufe des Berufswegs immer wieder neu, verbessern und verändern sie. Ein guter Fotograf lernte in den 80ern den richtigen Umgang mit der analogen Spiegelreflexkamera, heute muss er auch fit in der digitalen Bildbearbeitung sein, um ein guter Fotograf bleiben zu können. Wo früher in der Produktion oder bei der Montage Feinmotorik und flinke Hände gefragt waren, ist heute technisches Know-how wichtig, um Maschinen für uns arbeiten zu lassen.
In einer alternden Gesellschaft geht es darum, die Lernlust so lange wie möglich wach zu halten. Denn es sind nicht nur die Jungen, die in der Zukunft das gesellschaftliche Umfeld aktiv gestalten müssen. Auch die Baubranche ist von Veränderungen geprägt – sie wird immer internationaler und digitaler. Die Preise müssen wettbewerbsfähig bleiben und die Prozesse so effizient wie möglich ablaufen. Auf die Akteure – vom Architekten bis zum Maler – warten gesellschaftliche Aufgaben wie Energiewende im Bestand, demographischer Wandel oder Urbanisierung. Durch diese Megatrends, die zunehmende Automatisierung der Baustelle und Veränderungen in Richtung Bauen 4.0 nehmen auch die Anforderungen an das Fachwissen der Bauprofis zu. Daher ist davon auszugehen, dass sowohl die Fortbildungsangebote der Verbände und Industrie weiter ausgebaut werden, als auch die Nachfrage nach berufsbegleitenden Schulungsmaßnahmen zunimmt. Man lernt eben nie aus...
Autor: Paul Deder