Kollegen und Vorgesetzten ist er ein Dorn im Auge. Der betagte Angestellte Günther, der seit einem gefühlten halben Jahrhundert das letzte Büro im Gang bevölkert und seiner Arbeit zwar routiniert, doch alles andere als motiviert nachgeht, wirkt mit seinem großkarierten Sakko und der Herrenhandtasche wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Damals, als er noch Haare auf dem Kopf hatte, hat er sich einen guten Vertrag ausgehandelt. Die Arbeitsbedingungen waren besser, es gab weniger Hektik im Job und Rentner auf den Schultern. Mit dieser Einstellung und der Gewissheit, nur noch einige Jahre „durchhalten“ zu müssen, kommt er auch heute noch ins Büro, während sich alles andere um ihn herum verändert hat.
Nun bestimmen Controller die Geschicke des Unternehmens, stets auf der Suche nach der absoluten Kosteneffizienz. Und während „der Alte“ abends um 6 zu Hause bereits den Grill anwirft, müssen seine jüngeren Kollegen für ihre knapp über der Armutsgrenze festgesetzte leistungsbezogene Vergütung auch über die Regelarbeitszeit hinaus vollsten Einsatz zeigen.
Arbeitsrechtlich beinah unantastbar, entledigt man sich eines ungeliebten Kollegen auf eine andere Art und Weise – durch Mobbing. In den 60er Jahren wurde der Begriff zum ersten Mal verwendet, als Verhaltensforscher damit Gruppenangriffe von Tieren auf Fressfeinde bezeichneten. Von Mobbing in Bezug auf das Arbeitsleben wurde erstmals in den 80ern gesprochen; heute sind der Begriff wie auch die Täter omnipräsent. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz werden aktuell drei von 100 Beschäftigten am Arbeitsplatz gedemütigt, beleidigt, seelisch zermürbt, diskreditiert und an der Arbeit gehindert. Jeder neunte Erwerbstätige wurde mindestens einmal im Laufe seines Arbeitslebens gemobbt. Am Anfang als simpler Büroklatsch abgestempelt und den Attacken wenig Beachtung geschenkt, wird Mobbing oft erst bemerkt, wenn die Schlammlawine ohne fremde Hilfe nicht mehr zu stoppen ist. Dabei wird der Kampf auf allen Hierarchieebenen ausgefochten und verläuft in alle Richtungen: Von den Schwergewichten in der Chefetage zum Fußvolk und zurück. Gemobbt wird auch innerhalb der gleichen Gehaltsstufe. Eine Taktik, die oft gelingt und den Gebrandmarkten aus Selbstschutz zum Rückzug zwingt.
Räumt man nicht freiwillig das Feld, dann wird man nach allen Regeln der Kunst – auf der Arbeits- wie auch auf der sozialen Ebene systematisch fertiggemacht. Der Chef enthält wichtige Informationen vor, vergibt sinnlose Tätigkeiten oder kritisiert unsachgemäß vor versammelter Mannschaft. Die Kollegen grüßen nicht mehr, behandeln einen wie Luft oder sorgen dafür, dass wichtige Arbeitsergebnisse plötzlich verschwinden.
Früher oder später zeigen sich die ersten Folgen der seelischen Misshandlung: Die Mobbing-Opfer werden lust- und antriebslos, verschließen sich und machen Fehler – stressbedingt oder durch Informationsdefizite. Arbeitsrechtliche Konsequenzen von der Abmahnung bis hin zu Kündigung sind logische Folgen davon. Verliert der bis zum Exzess Gemobbte erst mal seinen Job, bleiben psychische oder physische Probleme oft bestehen. Statt die Karriereleiter rauf geht es für den Malträtierten dann runter in den sozialen Abstieg.
Typische Mobbingopfer gibt es nicht. Gut möglich, dass wehrhafte Exemplare, die über die Fähigkeiten der „psychologischen Kriegsführung“ verfügen, schlagfertig sind und selbstbewusst auftreten, weniger ins Beuteschema passen. Doch ob dick oder dünn, jung oder alt, Schönheit oder Gesichtsbaracke – es kann jeden treffen.
Auch der Günther ist ins Fadenkreuz geraten. Nicht ausgeschlossen, dass das große Karomuster und die Handgelenktasche aus Büffelleder in den nächsten Jahren wieder in den Modekatalogen erscheinen. Doch sein Arbeiten im Schongang in Verbindung mit der üppigen Dotierung treibt seine jungen Kollegen in den Wahnsinn. Das Klima erreicht Kühlschranktemperatur; Kommunikation weicht systematischer Ausgrenzung und dem Getuschel hinterm Rücken.
Auch auf der Baustelle stehen Streitigkeiten unter Kollegen auf der Tagesordnung. Weil Männer sich in der Regel vor offenen Aussprachen drücken, können sich Lappalien zu kaum lösbaren Konflikten entwickeln. So etwas bleibt nicht ohne Folgen: Gerade in kleinen Unternehmen, wo man sich nicht aus dem Weg gehen kann, führen Kommunikationsprobleme innerhalb des Teams schnell zu finanziellen Schäden im Betrieb. Um das zu vermeiden, ist der Chef gefragt – um zu dirigieren, zu schlichten oder hier und da mal gepflegt auf den Tisch zu hauen. Dann hat auch der Günther wieder eine Chance, in den „Kreis des Vertrauens“ aufgenommen zu werden.
Autor: Paul Deder