Bahnhöfe, Flughäfen, öffentliche Gebäude – überall sind heute Kameras zu finden. Die Vorteile der Videoüberwachung sind auf den ersten Blick offensichtlich: so können gefährliche Orte mit relativ wenig Personaleinsatz kontrolliert werden. Die Exekutive setzt dabei auf Prävention und hofft, dass mögliche Rechtsverstöße unter dem wachen Auge der Gesetzeshüter gar nicht erst vollzogen werden. Rund 8.000 Kameras, die in Deutschland in der Hand der Bundespolizei sind, sollen potenzielle Täter abschrecken und dazu beisteuern, ihre Überführung zu erleichtern. Soviel zur Theorie. In der Praxis ist der Nutzen der Überwachung durchaus fraglich.
Die wenigen Studien, die den Einfluss von Kameras auf die Kriminalität untersucht haben, zeigten, dass dieses Sicherheitskonzept überbewertet wird. So konnte in London – Europas Überwachungshauptstadt schlechthin – trotz der geschätzten vier bis sechs Millionen installierter Kameras die Verbrechensrate nicht gesenkt werden. Ein Bericht des britischen Polizeichefs zeigt auf, dass bisher nur drei Prozent aller Straftaten durch Videoaufnahmen aufgeklärt wurden.
Das mag daran liegen, dass Straftäter nicht automatisch Intelligenzallergiker sind, denen es an Urteilsvermögen mangelt. Kriminelle Energie wird dann kurzerhand in unbeobachteten Bereichen abgebaut. Zudem ist der Beweiswert einer aufgezeichneten Straftat fragwürdig, was an der oft schlechten Qualität der Aufnahmen oder einer entsprechenden Tarnung des Täters liegen kann. Den Bürgern gaukeln die Kameras jedoch ein trügerisches Gefühl der Sicherheit vor. In Wirklichkeit ist es höchst unwahrscheinlich, dass im Fall der Fälle just-in-time Hilfe geleistet werden kann. Weil rund um die Uhr verfügbare Alarmsysteme fehlen, ist der „Gute“ mit der Dienstwaffe womöglich zu weit weg, um ins Geschehen aktiv einzugreifen. Dass der Fall später dank der Kameraaufzeichnung womöglich schneller aufgeklärt werden kann, ist der Leiche völlig schnuppe. Kriminalitätsbekämpfung geht anders – man muss an die Ursachen ran, was kompliziert und teuer ist. Einfacher und billiger sind Symbolmaßnahmen wie die Videoüberwachung, auch wenn man sich damit lediglich den Symptomen gesellschaftlicher Probleme widmet.
Trotzdem fordert die Politik nach jedem Anschlag gebetsmühlenartig eine Erhöhung der Überwachungsaktivitäten, obwohl Selbstmordattentätern die Kameras wohl eher nutzen als schaden würden. Nun hat der Bundestag den Weg für mehr Videoüberwachung freigemacht – das Installieren von Kameras in Einkaufszentren, vor Fußballstadien und auf Parkplätzen wird künftig erleichtert. Erst Ende Dezember 2016 hat die Regierung einem entsprechenden Gesetzespaket zugestimmt, mit dem die innere Sicherheit gestärkt werden soll. Der nächste Schritt ist die intelligente Videoüberwachung, die dank Gesichtserkennung und Analyse der Verhaltensweisen Menschen identifizieren und verfolgen kann: am Bahnhof Südkreuz in Berlin soll dieses Projekt des Innenministeriums erstmals umgesetzt werden. Diese Technologie ist viel mehr als ein paar untersetzte Sicherheitsleute, die tagein, tagaus Sandwich kauend auf ein Dutzend Bildschirme starren. Die Kameras sind die Spitze eines hochmodernen Überwachungssystems für mehr gesellschaftliche Kontrolle – über jeden Einzelnen von uns.
Dass auch auf deutschen Baustellen der Einsatz von Überwachungssystemen Hochkonjunktur hat, ist der hohen Anzahl an Diebstahldelikten zuzuschreiben. Tritt eine Versicherung für den Schaden nicht ein, dann kann er für kleinere Betriebe existenzbedrohende Ausmaße erreichen: Vor der Abnahme der Werkleistung haben Bauausführende das Risiko für die Materialien und Werkzeuge nämlich selbst zu tragen. Hinzu kommen teure zeitliche Verzögerungen, wenn aufgrund des Diebstahls vorerst nicht weitergebaut werden kann. Videoüberwachung als Präventionsmöglichkeit macht hier durchaus Sinn: auf einem in der Regel hermetisch abgeriegelten Areal ist jeder nächtliche Besucher ein potenzieller Dieb – auch ohne verräterische Verhaltensmuster.
Autor: Paul Deder