zum Newsletter anmelden
 

Drohender Verkehrsinfarkt

Zeit zu haben, ist Luxus. Das ist die Variante der Prunksucht, die man sich auch mit einem Durchschnittsgehalt leisten kann. Zumindest im Urlaub nimmt sich der käseweiße und ausgepowerte Mitteleuropäer vor, in den Entspannungsmodus zu gehen. Neue Rekorde im Schnellduschen und -früstücken werden bis auf weiteres ausgesetzt, Zeit zu haben wird zelebriert. Dem Müßiggang wird gefrönt und wir schauen nicht mehr auf die Uhr – bis der erste Termin uns wieder in die Realität der streng getakteten Welt katapultiert. 

So wie vor einigen Jahren bei einer Jeep-Safari in Spanien. Miguel, der Fahrer, hat uns eine halbe Stunde in der Pampa warten lassen. In der ausschließlich aus Deutschen bestehenden Touristengruppe machte sich Unruhe breit – die Kardinaltugend unserer preußischen Vorfahren quellte langsam über. Südländische Improvisation dem kühl geplanten Handeln vorziehen? Never! Jemand, der mit dem Slogan „Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Deutschen Pünktlichkeit“ aufgewachsen ist, wird eine halbe Stunde Verspätung ohne zu nörgeln und quengeln nicht akzeptieren. Miguel aber zeigte uns bei seiner Ankunft nur sein zahnloses Lächeln und startete gut gelaunt und wortlos den Motor.

Umso erstaunlicher ist, wieviel Zeit der durchorganisierte Deutsche sinnlos in Staus vergeudet, ohne dass ein auf Wirtschaftlichkeit getrimmtes Land profunde Gegenmaßnahmen einleitet. Dadurch ist nicht nur Pünktlichkeit als unser nationales Kulturgut in Gefahr. Auch die Effizienz, für die wir weltweit geschätzt werden, muss dabei einen schweren Leberhaken einstecken. Verkehrsstaus verursachen pro Jahr 7,5 Mrd. Euro zusätzliche Kosten – das hat eine Studie vom Centre for Economics and Business Research ergeben. Davon sind 811 Mio. Euro auf einen höheren Kraftstoffverbrauch zurückzuführen. 4,6 Mrd. Euro entstehen durch die Zeitverschwendung im Stau und weitere 2 Mrd. Euro sind indirekte Kosten, die durch im Stau stehende Lkw und Geschäftsreisende aufgeschlagen werden. Eine weitere Studie des Navigationsgeräteherstellers TomTom krönt die deutsche Stauhauptstadt:  In und um Stuttgart verlieren Pendler bei einer 30-minütigen Anfahrt 89 Stunden Zeit pro Jahr.  Miguel – der spanische Lebemann – würde das gelassen sehen, doch die Pendler hierzulande kauen nervös an den Fingernägeln. Die Staus gehen ans Portemonnaie: Die für ihre Sparsamkeit bekannten Schwaben müssen pro Jahr und Haushalt etwa 980 Euro an Zusatzkosten stemmen. Gründe für die Entstehung von Staus gibt es viele. Ist jedoch eine ganze Region chronisch staugefährdet, dann liegt es an einer Überlastung des Straßennetzes. Dem ADAC zufolge entsprechen in Deutschland 1.600 km des insgesamt knapp 13.000 km langen Autobahnnetzes in punkto Kapazität und Qualität nicht mehr den gestellten Anforderungen.

Der Sanierung maroder Straßen und dem Ausbau des Autobahnnetzes sollte daher politisch eine höhere Priorität zugesprochen werden. Auch Bauunternehmer sehen diese Entwicklung: Einer Branchenstudie von Bauinfoconsult zufolge halten 27 % der befragten Betriebe für das laufende Jahr die Sanierung des Fernstraßennetzes für einen zentralen Trend. Sinnvollerweise sollten politische Entscheider Projekte mit dem größten Nutzen für das Verkehrssystem und die Volkswirtschaft finanziell unterstützen, statt sich selbst milliardenschwere Denkmäler zu setzen. Hoffnung macht der Vorstoß des Bundesverkehrsministeriums, Mittel für den Erhalt und den Ausbau der Straßen in den nächsten Jahren schrittweise zu erhöhen. 4,8 Mrd. Euro mehr möchte der Bundesverkehrsminister ab 2018 jährlich für die Straßenplanung ausgeben, was einer Budgetsteigerung von über 40 % entspräche. Ist das die Rettung für eine unserer wichtigsten Tugenden – die Pünktlichkeit? Das bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall ist das eine gute Nachricht für die Baubranche.

Autor: Paul Deder

Weitere Artikel:

Ihrer Zeit voraus

Ihrer Zeit voraus

Kürzlich erreichte mich die Meldung, dass ein mir bekanntes Unternehmen, das innovative Maschinen für die Baustelle entwickelt, beim zuständigen Amtsgericht Insolvenz anmelden musste. Acht Jahre nach der Gründung konnte der Technologieanbieter das prognostizierte Geschäftswachstum nicht erreichen. Auch wenn es durchaus Chancen gibt, dass im Rahmen des Konkursverfahrens Investoren für die Umsetzung eines Sanierungsplans gefunden werden können, zeigt dieser Fall das Manko vieler junger Unternehmen mit Visionen: Sie scheitern oft, weil sie ihrer Zeit voraus sind.

mehr lesen

Auf Schrumpfkurs

Auf Schrumpfkurs

Stark gestiegene Zinsen, hohe Inflation und Knappheiten in den Märkten – seit fast zwei Jahren büßen zahlreiche Weltregionen an Schwung ein. Deutschland zählt zu den größten Verlierern der aktuellen geopolitischen Spannungen. Schon im letzten Jahr ist unser Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt um 0,3 % gesunken. Und auch die Konjunkturvorhersagen des IWF für 2024 zeigen, dass es dem Land an Wachstumsimpulsen mangelt. In der Riege der größten Volkswirtschaften sind die Deutschen bei BIP-Prognosen nach dem krisengeplagten Argentinien Schlusslicht – mit einem Wachstum von lediglich 0,5 %.

mehr lesen

Das Mysterium Gen Z

Generation Z

Während sich die Babyboomer in den Ruhestand verabschieden und die Millennials Karriere machen, tritt die Generation Z langsam ins Rampenlicht. Bei den Arbeitgebern verbreiten die Digital Natives Angst und Schrecken: Trägheit und mangelnde Motivation werden ihnen nachgesagt, ebenso wie geringe Belastbarkeit und hohe Ansprüche. Millionen verwöhnter Gören und verzogener Bengel mit schlechter Arbeitsmoral, dafür aber einem Faible für Tofu, Gerechtigkeit und apokalyptische Endzeitszenarien. Wohnstandskinder, die ohne WLAN und bei leerem Akku apathisch werden, tagtäglich auf dem Sofa herumlümmeln und außerhalb der Online-Welt weder kommunikations- noch beziehungsfähig sind. Alles nur ein Klischee?

mehr lesen

Stürmische Zeiten

Stürmische Zeiten

Der Immobilienmarkt hat mit einer schwierigen Gemengelage zu kämpfen. Zum einen sind da die potenziellen Käufer, die trotz unterirdischer Rahmenbedingungen den Traum von den eigenen vier Wänden noch nicht aufgegeben haben. Nur sehr langsam kommt die Erkenntnis, dass sie sich bei der Wahl der Wunsch-Immobilie in Bescheidenheit üben müssen. Denn die Hoffnung, dass die Häuserpreise mangels potenter Abnehmer ins Bodenlose sacken, bleibt vorerst unerfüllt. Viele Verkäufer, die Anfang 2022 noch den Preis bestimmen konnten, sind nach wie vor nicht bereit, deutliche Abschläge für ihre Immobilien zu akzeptieren. Nach der Preiskorrektur für Bestandsobjekte aufgrund des Zinsanstiegs im letzten Jahr hat sich die Abwärtsbewegung der Immobilienpreise inzwischen spürbar verlangsamt.

mehr lesen

Paradigmenwechsel

Paradigmenwechsel

Die Kuh ist vom Eis. Nach monatelangem Streit zwischen den Ampel-Parteien, hitzigen Diskussionen auf den medialen Bühnen und großer Verunsicherung bei Eigentümern und Mietern hat der Bundestag das sogenannte Heizungsgesetz mit einer Mehrheit verabschiedet. Ab 2024 müssen in den meisten Neubauten Heizungen mit 65 % erneuerbarer Energie eingebaut werden, und auch für andere Gebäude ist der schrittweise Umstieg auf klimafreundliche Heizungen eingeläutet.

mehr lesen

(Un)pünktlich wie die Bahn

(Un)pünktlich wie die Bahn

Mitten in der Ferienzeit weckt ein aktueller Werbespot der Deutschen Bahn Lust auf Reisen. Ein breit grinsender, tiefenentspannter Bahnkunde lehnt sich zurück, schließt die Augen und genießt den Trip. „Weg von den Überstunden, weg vom Stau“ – Eine Bahnfahrt als unvergessliches Erlebnis mit magischen Landschaften außen und dem Komfort eines Fernzugs innen. Der Weg ist das Ziel! Die Realität sieht allerdings oft anders aus: Würde man den Schauspieler gegen einen echten Kunden austauschen, dann wäre sein Lachen eher hysterisch – als Ausdruck einer akuten Belastungsreaktion kurz vor dem Nervenzusammenbruch.

mehr lesen

Alibi-Programm

Alibi-Programm

Zwölf Jahre lang haben zahlreiche Akteure von der guten Baukonjunktur und boomenden Immobilienbranche profitiert. Seit dem zweiten Quartal 2022 ist die Party vorbei: Aus dem Verkäufer- ist ein Käufermarkt geworden, trotz des massiven Wohnraummangels sinkt die Nachfrage nach Wohnimmobilien spürbar. Der Auftragsbestand der Bauunternehmen schmilzt dahin, die Bauträger sind auf einmal gezwungen, Kaufinteressenten zu umwerben und auch für die ominösen Möchtegern-Makler, die sich trotz fehlender Fachkompetenz jahrelang die Taschen vollstopfen konnten, ist der Immobilienverkauf als Selbstläufer passe.

mehr lesen

KI: Chance oder Risiko?

KI: Chance oder Risiko?

Wir Menschen sind Perfektionisten – eine Eigenschaft, die aus evolutionärer Sicht  von entscheidender Bedeutung ist. Einst erreichte Standards werden immer und immer wieder in Frage gestellt, um die Latte für die Lebensqualität höher zu legen. Das hat dazu geführt, dass wir heute in einer völlig anderen Welt leben und sogar gerade dabei sind, künstliches Leben zu erschaffen. Wird die Künstliche Intelligenz (KI) zum Gamechanger oder droht uns eine digitale Revolution, die die Welt ins Chaos stürzt?

mehr lesen

Melkkuh der Nation

Melkkuh der Nation

Wir haben die Übeltäter! Endlich steht fest, wer für die verfehlten Klimaziele geradestehen und den radikalen Gesellschaftsumbau finanzieren muss. Nachdem der Gebäudesektor bei den erlaubten Jahresemissionsmengen erneut in rote Zahlen gerutscht ist, müssen die Immobilienbesitzer notfalls mit Brachialgewalt auf den vorgesehenen Dekarbonisierungspfad gebracht werden. Förderprogramme und Marktanreize? Sind teuer und der Erfolg ist schlecht planbar. Wer sich ein Haus leisten kann, sollte auch das nötige Kleingeld haben, um die klimapolitischen Versäumnisse der Großen Koalition auszubaden.

mehr lesen